Wo war ich? Richtig…
Stadtpläne gab es in der verwinkelten kleinen Wohnung in der Poststraße, im ganzen Haus knarrte es bei jedem Schritt und roch bis zum Erbrechen nach der Tomatensoße, die das Restaurant im Untergeschoss scheinbar für alles verwendete. Aus einer kleinen Kneipe nebenan kam bis in die frühen Morgenstunden unangemessen laute Schunkelmusik und die Laterne leuchtete direkt ins Fenster in einem dunklen Gelb, das mich an die Straßen in der Heimat erinnerte.
Es war immens wichtig sich täglich einen neuen zu besorgen, denn die dunkle Seite hatte es an sich, dass sich die Infrastruktur ständig veränderte, wo gestern noch eine Straße war lief man heute, ohne Stadtplan, gegen eine Mauer. Dieser Laden war der einzige der seinen Standort niemals veränderte, die erste Gasse links, dann gleich um die Ecke, ein spitzes Dach und das bleiche Plakat am Eingang.
Die Türen standen immer offen: eine führte in die Küche, die andere in einen schmalen Flur mit gruseligen Aquarien mit schrecklich mutierten Fischen an den Wänden. Schnell die Treppe hoch und dort die zweite Tür. Obwohl hier theoretisch ein ständiges Kommen und Gehen herrschen musste fand ich immer nur gähnende, unheimliche Leere vor. Der Händler hatte sein Büro hinter der kleinen Küche, schon beim Reinkommen stolperte man über Berge von Papieren und Zeitschriften während die Katze zufrieden hin und her lief, ab und zu auf einen Stapel kletterte. Ich habe übrigens keinen Schimmer wie er alleine es schaffte tausende von Stadtplänen am Tag zu zeichnen, es wurde allerdings gemunkelt, er sei ein Mutant mit Krakenarmen und dass er sich die Nacht über mit T-Energie wachhielt.
Den Plan noch glatt in der Hand stand ich dann in der Tür und versuchte mich zu orientieren, das Industriegebiet war diesmal im Süden gelandet, hier auch die große Plasmatankstelle, denn auf diesem Planeten gab es noch die klassischen Tankstellen und das Plasma wurde ausschließlich für Fahrzeuge verwendet. Ich hob die Hand und pfiff so laut ich konnte um eins der illegalen Taxen zu rufen. Beim ersten winkte ich gleich ab als ich sah, dass dunkler Rauch unter einem der Räder hervorquoll. Das nächste schien annehmbar, es hatte zwar ein offensichtlich wackeliges Dach aber für die Umstände und die kurze Fahrt sollte es genügen. Und wozu schließlich hat man einen Helm. (Für die Bootskates natürlich. Aber so ein Helm erweist sich in den unterschiedlichsten Lagen als vortreffliches Accessoire, wie ich vielleicht noch berichten werde) Der Fahrer war ein Halbroboter, die gesamte linke Seite schien aus Roboteilen zu bestehen, ich sah den Metallarm und die Spezialschuhe, die es nur für amputierte Gliedmaßen gab. Wir fuhren in den Süden, direkt zum Ortsausgang. Die Gebäude schossen im Dunkeln an uns vorbei, der Fahrer schweigsam, ich ebenfalls, wunderte mich über das Namensschild, das er sich umgehängt hatte, aber die Mutanten hier hatten hier ihren ganz eigenen Humor.
Kaum ausgestiegen, schlug das Wetter um, der Regen platzte auf den Gehsteig und der Wind nahm so stark zu, dass ich Schutz im nächstbesten Hauseingang suchen musste. Es war das letzte Haus in der Straße, ein überdachter Eingang von dem aus ich auf eine alte Gartenlaube blicken konnte. Von den Stufen der Treppe blätterte schon der Lack ab, genauso wie von den bunten hölzernen Fensterläden. Die große Tonne unter dem Regenrohr war bis oben hin voll mit Wasser und die Erde in den Beeten, die das Häuschen umrundeten, dunkel und schwer vom Regen. Mein Auge fiel auf einen Veilchenstrauß auf der Fensterbank, sorgsam zusammengebunden. Ein ungewöhnlicher Anblick – grüne Pflanzen in der dunklen Zone. Ich setzte mich um den Regen abzuwarten. Wenn es sich etwas beruhigt hatte könnte ich immer noch meinen Helm aufziehen, ein vortrefflicher Regenschutz übrigens, und weiterziehen. Überprüfte den Inhalt meines Rucksacks, lehnte mich zurück und hielt kurz inne. Ich war unglaublich müde. Die Tage wurden lang auf der Reise, die letzte Heimfahrt bereits Wochen her. Hilde schien zuletzt etwas abwesend zu sein, starrte oft aus dem Fenster und schwieg obwohl er normalerweise gerne sinnloses Zeug diskutierte. Und auch ich hing immer öfter meinen Gedanken nach, schrieb viel mit Pepe über die Einrichtung unseres Notlagers auf #1.2,5. Er hatte für uns einen eigenen Kanal eingerichtet über den wir zwar etwas verlangsamt, jedoch ohne Störungen und vor Allem ohne vom Funkverkehr des Systems abhängig zu sein, der mittlerweile alle paar Tage ausfiel, kommunizieren konnten. Die Wasserversorgung auf manchen der Planetenstatten im Osten war bereits katastrophal teilte er mir eines Tages ganz nüchtern mit. #4 und #6 gehörten von da an zum verbotenen Terrain. Schade eigentlich, ich hätte es gerne gewagt um die Vorräte aufzufüllen, die Planeten waren voller Plasma und nachwachsender Rohstoffe, ich bildete mir ein, ein paar Proben würden genügen um sie nachzuzüchten, wurde aber überstimmt. Was wohl im Osten los ist, theoretisch können dort ja ausschließlich die Roboter überleben. Ich betrachtete die Hauseingänge und langsam kamen sie mir trotz der Dunkelheit einladend vor. In einigen Fenstern brannte Licht und ich konnte die Bewohner betrachten wie sie in ihren Wohnungen auf und abliefen, zusammen beim Abendessen saßen. Ich sah eine dicke Frau, die an einem Pullover strickte und erinnerte mich an die goldenen Vorhänge, die meine Großmutter aus schwerem Samt genäht hatte, überhaupt hatte sie eine Vorliebe für Kitsch. Die goldschimmernden Vorhänge waren hier nur die Krönung, das ganze Haus vollgestopft mit pompösen Lampenschirmen, Schnitzereien, die Märchenszenen oder -Figuren darstellen sollten, ausgefallenen Kerzen und der Herd, darauf hatte sie bestanden, war ein exakter Nachbau desjenigen, den schon ihre Großmutter damals benutzt hatte. Man kochte mit Holz und, etwas moderner, auf einem Ausweichherd mit Gas, denn Ururgroßmutters Herd durfte nur Oma bedienen. Nebenan im dunklen Keller stand der gefräßige große Ofen der das gesamte Haus versorgte und frühmorgens die Rohre zum Glucksen brachte. Ich sehnte mich nach dem Duft heißer Milch, dem leisen Schleichen der Katzen und sogar nach dem Hund, der mir so gerne mein Butterbrot klaute. Der Regen fiel unerbittlich weiter, vereinzelt entdeckte ich immer größer werdende Hagelkörner. Ich würde abwarten müssen. Ich lehnte mich gegen die Tür und fiel beinahe nach hinten um – sie war unverschlossen, nur angelehnt. Ich erschrak und sprang auf. Lief herüber zur Gartenlaube- wenn mich dort jemand erwischte, wäre es wohl nicht so schlimm wie vor einer offenen Haustüre. Ich ging hinein und fand alles vor, um mir einen Tee zu machen. Auf der geschwungenen hölzernen Theke, drei Barhocker drangestellt, eine Glaskanne und der Wasserkocher. Ich stöberte ein wenig in den Schränken und fand verstaubte Teebeutel und jede Menge abgelaufener Lebensmittel. Es schien als wäre hier eine ganze Weile lang niemand gewesen. Ich setzte mich auf die kleine hässliche Couch im Eingangsbereich und schaute aus dem Fenster. Es hatte einen leichten Riss in der Ecke, die Scheibe verdreckt, auf der Fensterbank eine Vase in der sich bestimmt irgendwann einmal Wasser befunden haben musste. Ich trank die verstaubten Blüten und hörte dem Regen zu. Dann stand ich auf um meine Tasse abzuwaschen und bemerkte ein kleines Nebenzimmer, versteckt hinter einem Vorhang. Schob ihn ein Stück beiseite und stand plötzlich direkt vor einem schlafenden Mutanten, zusammengerollt auf einem Bett, das für den Raum viel zu groß war. Das Fenster hatte er geöffnet und die Regentropfen fielen hinein. Es schien ihm nichts auszumachen, dass er nass wurde, er musste schrecklich müde sein. Ich konnte das gut nachvollziehen. Kurz dachte ich darüber nach ob dies eine verwandte Seele sein könnte, ein Umherziehender wie wir, traute mich aber nicht ihn aufzuwecken.