Wunschdenken 3: Ausflug

In der Innentasche des Mantels spürte ich die laminierte Karte und den Schlüssel und überlegte, was ich da wohl verzapft hatte. Ich erinnerte mich als wäre es gestern gewesen und tatsächlich war der Ausflug auf die Plasmainsel ja auch erst einige Tage her:

In den vergangenen Wochen hatte ich Gerüchte über einen Jahrmarkt gehört der im Zentrum des Systems umherwanderte, eine hüpfende Plasmainsel, die sich hier und da an einen Planeten hängte. Auf dieser speziellen hatten sich die Bewohner ein unterhaltsames Hobby zugelegt und bauten und bauten an einem Vergnügungspark, riesige Räder, ein Streichelzoo mit flauschigen Hühnern, jede Menge Schießbuden und ein beeindruckendes Feuerwerk alle zwei Wochen. Hier wollte ich mich umsehen und ein paar Tage lang gut unterhalten bevor ich wieder mal in die Heimat fuhr.

Bereits auf der Fahrt durch die kleine Abzweigung innerhalb des Röhrensystems erreichte mich ein Lichtimpuls und die darauf folgende Nachricht, ich solle meinen Raumanzug anziehen und alles Notwendige einpacken, denn die BFOs müssten im Eingangsbereich zurückgelassen werden.  Ich stellte das Fahrzeug auf Autopilot, verstaute die Bootskates und ein bisschen Krimskrams in meinem strahlendichten Rucksack und lehnte mich zurück während wir zur Landung in einem Glaskasten mit bestimmt 30 Andockstationen ansetzten. Selbsttätig fand sich mein kleines FO in dem Strom der Besucher zurecht und parkte an einer der Stationen ein. Dann ging es durch eine Dekontaminierungszone nach draußen und schon stand ich vor dem funkelnden Markt.

Am Eingang holte ich einen Becher schwimmender Zimtsterne, mandelgroße, quallenartige Kekse in einer fluoreszierend blauen Flüssigkeit. Nur ein kurzes Stück wurde zu Fuß zurückgelegt, direkt hinter dem Eingangsbereich eskortierte mich ein Zwerg zu einem der Elektrokarts, die metallisch schimmernd in einer Reihe standen. Der Jahrmarkt, so genannt, weil er das ganze Jahr lang stattfand, war auf einer gummiartigen Fläche aufgebaut auf der sich die Elektrokarts wie Autoskooter entlangbewegten, sie schubsten einander, rutschten manchmal ein Stück oder sie hüpften durch einen Impuls den man per Knopfdruck auslösen konnte. Ich stellte meine Zimtsterne auf dem Beifahrersitz ab und drückte aufs Gas.

Es war zwar leicht, sich zurechtzufinden, denn die Strecke hatte die übliche Schleifenform aber durch die Unmengen an Scootern war das Vorankommen etwas erschwert. An der nördlichsten Ecke fand ich die kleine, unscheinbare Schießbude in der man angeblich Tassenkaninchen gewinnen konnte. Mit einem Schwung manövrierte ich das lächerliche Fahrzeug hinter das Häuschen und klopfte an die Tür. Es regte sich nichts. Dann hörte ich ein Rumpeln als würden drinnen Möbel verrückt werden, zunächst kurz und leise und dann direkt an meinem Ohr, das ich an das Holz gelegt hatte. Ein Hüsteln und ein baumartiges Wesen öffnete mir. Ich sah leuchtende Augen durch ein Gewirr aus dünnen Ästen die fast das gesamte Gesicht bedeckten und lächelnde Zähne in einem riesigen Maul.

Es sagte kein Wort, starrte mich nur eine lange Weile lang an, prüfend, mit zusammengekniffenen Augen, von oben bis unten. „Noch so einer“ murmelte es schließlich, drehte sich um und stapfte ins Haus, die Schritte so schwer, dass der Boden vibrierte. Ich folgte den Wurzeln, die aus seinen Füßen zu wachsen schienen, den Blick auf dem Boden um das Wesen bloß nicht aufzuregen. Nun hatte mich die Neugier gepackt, bisher war alles so wie in den Geschichten, die man mir in Verbund 9 erzählt hatte.  Das Häuschen bestand aus nur einem weiten Raum, hinter einem Vorhang die Schießattraktion und in einer Ecke tatsächlich die winzigen Kaninchen, die in Tassen badeten. Nachdem was ich gehört hatte war es so gut wie unmöglich bei dem Schießspiel zu gewinnen, denn der Baum hatte die Anlage präpariert, so dass eine Schnur die Ziele immer einige Millimeter wegrückte sobald ein Schuss abgegeben wurde. Das schweigsame Wesen schlurfte zielgerichtet zum Vorhang, kramte in den eingenähten Taschen und holte daraus ein Kartenset hervor. Das Papier leuchtete auf an den Stellen wo die knochigen Finger es berührten und ich meinte ein Lächeln im merkwürdigen Gesicht zu erkennen. Dann zuckte ich zusammen als ein lauter Ton durch den Raum fuhr, drehte mich geschwind auf dem Absatz um und starrte in das Gesicht eines winzigen Männchens, das aus der Kuckucksuhr in der Wand gekommen war. „Das ist Fluse“ klärte der Riese mich auf „Mein bester Freund, seit Jahrhunderten. Der arme Irre, hatte sein ganzes Leben lang nur eine einzige Idee. Schließlich versuchte er sich an einem der Zaubertränke, die wir manchmal aus importieren und naja…wir wissen nicht, wie man das wieder rückgängig macht.“ Die Miniatur krächzte etwas Unverständliches. „Welche Idee?“ ich hatte meine Stimme, wenn auch unsicher, wiedergefunden. „Ach, es ging irgendwie um Zeitreisen….er hat immer sehr viel darüber geredet, jaja..“ Offenbar hatte er keine große Lust über das Thema zu sprechen. Das Männchen verschwand im Inneren der Uhr und ich schaute wieder zum Baumwesen. „Das sind also die Karten?“ piepste ich.  „Hm.“ Das Set, das er mit einer blauen Schnur zusammengebunden hatte, legte er auf dem Tisch ab und drehte sich wieder zu seinem Vorhang. Ich starrte ein Loch in die Tischmitte und versuchte, mich an die richtigen Worte zu erinnern. „Ich mache bei dem Spiel mit. Die Einladung ist im Juni eingetroffen.“ Er drehte sich um, in der Hand ein weiteres Set und schaute mich prüfend an „Wenn das so ist – dann sind das sogar die richtigen“ und steckte mir ohne ein weiteres Wort die hydrolaminierten Kärtchen in die Manteltasche. „Ich muss zum Riesenrad, richtig?“ Er schnaufte nur dass die Blätter raschelten und ich verstand, dass die Unterhaltung hier ihr Ende gefunden hatte. „Denk an die Zeit“ hörte ich ihn noch sagen als die Tür schon hinter mir zugefallen war. Ich startete abermals das absurde Fahrzeug und steuerte den Berg hinauf auf das Riesenrad in der Mitte des Marktes zu. Zum Glück war es bereits dunkel, denn man hatte mir erzählt, dass das Spektakel in der Abenddämmerung stattfand. Es war eine Gasse hinter dem Monstrum aus Metall und dort ein paar wenige gelbe Hütten.

Ich parkte im Hof, wo bereits einige Fahrzeuge standen. Das Häuschen hatte einen kleinen Anbau, erreichbar über eine Treppe im Garten. Ich ging hinauf, die Tür stand einen Spalt offen und ich beschloss, einfach einzutreten. Im Vorzimmer waren unzählige Kartons mit Eiern aufgebaut, ähnlich einem kleinen Hofladen, unscheinbar und idyllisch. Ich bahnte mir den Weg vorbei an Kartoffelsäcken und Eierkartons bis hin zur Ecke im Flur wo sich eine Tür befand, von außen tapeziert, so dass sie beinahe wie die Wand aussah wäre da nicht der pompöse Türknauf.

Alle Augenpaare auf mich gerichtet, die Tischgesellschaft schwieg mich fragend an. Dort saßen, von links nach rechts: Ein kleiner brauner Bär mit Brille, ein rundes gelbes Männchen mit einem Huhn an der Leine, einer der Baummutanten, allerdings etwas fülliger als mein Bekannter mit der Schießbude, ein Roboter mit den langen Fühlern einer Ameise, die immer wieder über den Tisch tatsteten und in einem winzigen Stuhl in der Mitte des Tisches: Eine Eidechse, die sich in ihrem Stuhl immer wieder im Kreis drehte und die Anwesenden beobachtete. „Ich bin Lord Paddington“ log ich ohne mit der Wimper zu zucken. „Aus der dritten Reihe der westlichen Lords, mütterlicherseits verwandt mit dem großen *P.“ Was erzählte ich denn da nur für einen Unsinn dachte ich schwitzend unter meinem Hut. Nun gab es kein zurück mehr. Um nicht völlig schweißdurchnässt dazustehen entledigte ich mich Mantel und Hutes und nahm Platz – ein einziger Stuhl am Tisch war noch frei. Es herrschte weiterhin unangenehmes Schweigen. Ich langte in die linke Tasche und holte das Kartenset hervor, das mir das mürrische Baumwesen mitgegeben hatte und warf den Stapel vor mich auf den Tisch. Die Augen der Echse leuchteten auf und blitzschnell schoss die lila Zunge nach vorne, schnappte sich das Set.

Sofort ging es los. Die Echse warf die glühenden Karten auf den Tisch, alle fünf Sets die eben noch ordentlich vor ihr aufgebaut waren, wirbelten nun durch die Luft und verteilten sich über den ganzen Tisch. Schon tasteten die Fühler des Robos nach den ersten Karten. Auch die anderen beobachteten aufmerksam das bunte Treiben. Ich hatte geübt, zumindest bin ich in Gedanken vorher die Regeln durchgegangen, es war ein relativ einfaches aber sehr schnelles Spiel, man spielte immer mit einem zufälligen Partner und musste herausfinden, wer das war, bevor die Zeit ablief und wieder alles wechselte. Gemeinschaftskarten wurden aufgeteilt, die Einzelkarten sammelte jeder für sich allein, Gewinner war, natürlich, derjenige mit der höchsten Punktzahl. Die Echse stoppte die Zeit mit einer altmodischen Stoppuhr, die sie um den Hals hängen hatte. Ich war völlig überfordert, ließ mir aber nichts anmerken. Zuerst schien mir als spielte ich mit dem Roboter, der mir mit seinen Fühlern immer wieder zuzwinkerte. Nach viel zu schnellen drei Runden wurde mir aber klar, dass der Robo ständig Alleingänge startete, ob man mit ihm spielte oder nicht, er folgte seinem eigenen System nachdem er scheinbar bestimmte Einzelkarten sammelte. Das Baumwesen schnaufte unentwegt und der Bär schien zwischenzeitlich sogar einzuschlafen, so träge war er. Ich beschloss, das Vorgehen des Roboters zu kopieren und sammelte relativ wahllos Einzelkarten. Nach einer halben Stunde war alles vorbei-  zuletzt waren nur noch der Bär und ich übrig, wie sich herausgestellt hatte, ein herausragender Spieler, der sich nur schlafend gestellt hatte. Die Echse machte einen kleinen Hüpfer als die Uhr klingelte. Alles hielt still und deckte die Karten vor sich auf – ich staunte nicht schlecht. Unter meinen befand sich eine, die plötzlich anfing zu leuchten und zu surren. Die Stimmung schien zu kippen. Wieder beschlich mich das mulmige Gefühl vom Anfang als ich hier angekommen war. Sie schwiegen und starrten mich an und für eine Sekunde war mir als hätten sie mich durchschaut, ich gehörte nicht hierher, war weder ein professioneller Spieler noch hatte ich irgendwelche Einladungen bekommen, ich war einfach aus einer Laune heraus ein paar merkwürdigen Gerüchten gefolgt. Ich starrte auf die Karte, viel zu lang wie mir auf einmal schien, so dass ich sie mir mit einem Ruck schnappte, in die andere Hand Mantel und Hut und schon stolperte ich hinaus, wortlos, das Herz setzte einen Moment lang aus und es schien ewig zu dauern bis ich draußen ankam. Tief Luft holen und schnell ins Fahrzeug. Nun war ich also im Besitz der sagenumwobenen Karte, die angeblich ein Portal nach erzeugte. Wie genau das funktionieren sollte, war mir nicht ganz klar, ich wusste aber, dass noch eine zweite Komponente, eine Art Schlüssel, nötig war. Diesen wollte ich nun unbedingt finden.