zeitreisen und so

Der einzige Zivilist, der sich jemals traute den Raum zwischen den Sternen (5) und (6) zu bereisen, war der Architekt Szymek Fluse, ein kleiner, dürrer Mann mit dicker Brille, besessen von der Idee raumlose Räume zu gestalten und Möbel im freien Fall. Jahrtausende lang verließ er sein Haus nicht (denn er gehörte zu denjenigen, die, getroffen durch die semimagnetische Strahlung, die den östlichen Teil der Galaxie um 3012 durchquerte, mehrere tausend Jahre alt wurden), die krumme Hütte hoch oben auf dem Berg, die bei jedem Sturm wackelte, aber von hier aus konnte er die Sterne so deutlich sehen, zum Greifen nahe, der Nebel zwischen (5) und (6), weitgehend unerforscht und so gefährlich, dass etliche Expeditionen bereits darin verschwunden waren. Während er also nachts von seinem Schaukelstuhl aus mit dem handlichen Miniaturteleskop in den Himmel starrte, tapezierte er tagsüber die Zimmer mit Bücherseiten und Zeitungsausschnitten, alles, was er über den Nebel wusste, hing hier säuberlich geordnet und kategorisiert.

Das Ungeheuer nannte er ihn zärtlich bei den seltenen Gelegenheiten bei denen ihm jemand zuhörte, denn er hatte kein anderes Thema und war auch insgesamt kein guter Gesellschafter. Das Ungeheuer war ein gasspuckendes, brodelndes Etwas.

Schnell gelangweilt von den Fachbegriffen, teilweise selbst erfunden, mit denen er um sich warf und den Tabellen, die er leider auch detailgetreu beschrieb und aufsagte, schafften es nur wenige, ihm bis zum Schluß zuzuhören – Fluse hatte zu allem Übel auch noch eine monotone, einschläfernde Stimme – und so wurde er nachdem auch der Letzte nicht zurückkehrte aus den Tiefen des Dunsts der einzige Experte auf diesem Gebiet. Das Ungeheuer hatte sie alle verschlungen, die mutige Forschungsfahrt der Pioniere, die sofort in den äußeren Bahnen des intergalaktischen Qualms an einem der unberechenbar umherschießenden Brocken zerschellte bis zu der waghalsigen Entdeckungsreise, eine Ein-Mann-Unternehmung, wobei der letzte verbliebene Wissenschaftler halb wahnsinnig, unverständliche Dinge vor sich herredend, in eine Raumkapsel stieg und nie wieder gesehen wurde.

Fluse hatte das Alles sehr genau verfolgt. Seit der ersten Erkundungsfahrt verbrachte er jeden Abend mit der Suche nach Lebenszeichen am Himmel aber das Ungetüm blieb selbst für ihn, nach Jahren und Jahrtausenden, ein unverständliches Rätsel und er vermochte nicht die kleineren und größeren Explosionen, die plötzlich auftretenden Strudel oder die gasförmig anmutenden Blasen zu deuten und in einen größeren Zusammenhang zu bringen. Da drin aber, da war er sich sicher, musste es möglich sein, eine Projektion einer Welt zu entwerfen, einen Raum, in dem sich die Elemente selbst anordnen und je nach Drehung und Winkel verändern. Der Grund für diese Annahme war so lang und kompliziert, dass ich den kleinen Vortrag hier nicht wiedergeben möchte, eine Art Zeitverschiebung sollte in den Tiefen des Nebels stattfinden und an den Grenzen, den Übergängen zwischen der Zeitverschiebungsblase und dem Dunst, müssten alle bekannten Gesetze der Physik außer Kraft treten. Dort, so Fluse, wäre ein Wesen wie der Mensch gottähnlich, mit der Kraft seiner Gedanken in der Lage, ganze Welten zu erschaffen.

Alles hatte er schon ausprobiert und die abenteuerlichsten Methoden angewandt um sich auf eine Reise in das Innere des Ungeheuers vorzubereiten. Im kleinen Waldstück hinter der Hütte zimmerte er an der eigens entworfenen Raumkapsel, das alte Gewächshaus hatte er in ein Labor verwandelt in dem er zunächst sehr einfache Reaktionen und Stoffe testete, dann immer mutiger wurde und regelmäßig die Scheiben auf außerordentlichste Weise zerspringen ließ. An ruhigen Tagen jedoch glimmerte das Treibhaus in wechselnd bunten Farbtönen und erleuchtete den Hain. Er ließ nichts außer Acht wenn es um sein Steckenpferd ging, selbst die esoterischen Wälzer, an die sich seit hunderten von Jahren keiner mehr erinnerte, verschlang er in seinem verwinkelten Zimmer auf dem Dach, dort, wo die Couch und das Innenteleskop standen, bevor er dann ausgewählte Passagen in einer gesonderten Kiste lagerte.

Die kleine Wettermaschine auf dem Dach zeigte Regen an als er an diesem Morgen hinaufkletterte um nach dem Rechten zu sehen. Er schaute auf den Monitor und fand alles in bester Ordnung, offenbar hatte zumindest in der näheren Umgebung niemand am Wetter herumgespielt. Dann begab er sich auf die Rückseite, wo im Schatten der Maschine Steinpilze wuchsen. Er sammelte die drei größten ein und war gerade dabei wieder hinunterzuklettern, träumte schon von der Pfanne mit Butter, als er plötzlich abrutschte.

Er wachte auf mit einer Beule an der Stirn und einer Idee. Eigentlich war es nur eine Variation des Gedankens, den er schon seit Jahrhunderten hatte, er wollte zum Nebel!, aber diesmal war es wie eine Offenbarung. Natürlich, er musste einen Weg finden, sich selbst mitsamt der Raumkapsel so zu verkleinern, dass er im Strom der Partikel mitschwimmen konnte. So winzig, das sagten ihm die Berechnungen, die er sofort auf dem Waldboden mit einem Stock notierte, müsste er Hindernissen nicht ausweichen, sondern (aufgrund der besonderen Beschaffenheit des Ungeheuers) durch sie hindurch schweben können und sich so durch die verschiedenen Strudel bis zum Kern des Nebels treiben lassen. Er rannte ins Haus und tätigte einige Lichtanrufe um sich nach einer Möglichkeit zu erkunden, wie die Komprimierung von Statten gehen konnte.

Es vergingen nur wenige Tage bis er ein Päckchen vor seiner Tür fand. Mit freundlichen Grüßen aus dem Ministerium für Raumfahrt, Abteilung: Merkwürdiges und Unerfoschtes. Man wünschte ihm viel Glück, lobte seine bisherigen Anstrengungen im Namen der Wissenschaft und bot eine Probe des kürzlich entwickelten Pulvers an, das die Geschwingkeit von Raumfahrzeugen auf das Vierfache beschleunigen sollte.

Er erinnerte sich an einen Trank den er auf dem Jahrmarkt erstanden hatte, angeblich ein Schrumpfzauber der alten Generation, oben in der Esoterikkiste. Dann ging es rasend schnell.

Bewohner im Tal berichteten, wie sie die Raumkapsel starten sahen, knatternd und mit einigen Fehlzündungen bevor es dann endlich losging. Dann, nach gerade einmal zwei Stunden, kam sie offenbar wieder zurück, schwankte bereits beim Eintreten in die Atmosphäre des Planeten. Es gab einen lauten Knall und plötzlich war die Kapsel verschwunden. An der Stelle wo sie gelandet war lag nun eine Kuckucksuhr.

Schwerfällig stapfte das Baumwesen, der einzige Freund den Fluse hatte, den Berg hinauf, stand lange nachdenkend vor dem Landeplatz, bis es schließlich die Uhr an sich nahm und verschwand.