Im Erdgeschoss war es stockdunkel. Zum Glück hatte der Mutant eine Taschenlampe dabei, die hielt er zwischen den Zähnen und fummelte an einem Sicherungskasten hinter der Tür. „So, gleich müsste es besser werden“ murmelte er und tatsächlich – in dem Moment sprangen ein paar Lampen an: winzige grünliche Glühbirnen erleuchteten einen Minimalbereich um sich herum, er sah bunte Benzinpfützen, ausgebeultes Metall und Rohre aus denen es tropfte. Floh ging mit beschwingtem Gang voran.
Es war ein großes, verwinkeltes Haus mit endlos scheinenden dunklen Fluren und unzähligen Türen. Die Luft war stickig und insgesamt wirkte alles etwas beklemmend. „Wir könnten natürlich den Aufzug nehmen, aber der ist immer überfüllt“ teilte ihm das Langohr mit und steuerte auf einen der Treppenausgänge zu. Sie stiegen die dreckige, schmale Treppe hinauf bis in den vierten Stock. Neonröhren sorgten für etwas Licht, so dass Fundig gut erkennen konnte, wie heruntergekommen dieses Hochhaus war. Die Wände waren mit unverständlichen Parolen beschmiert und der Staub lag zentimeterdick auf den Treppenstufen. Scheinbar benutzten hier wirklich alle den Aufzug. Im vierten Stockwerk angelangt klopften sie an eine der Türen in den langen, düsteren Gängen. Prompt öffnete sie sich nachdem sie ein Summen dahinter vernommen hatten. Er folgte Floh den beengten und vollgestellten Gang entlang bis zu einem Zimmer. Überraschend groß und geräumig, das Licht schien durch die großen Fenster- es war eine ganz andere Atmosphäre als in den Fluren und Gängen. Dort saß ein weiteres langohriges Wesen an einer Art Nähmaschine, die großen Ohren mit Kopfhörern bedeckt und schien sie nicht zu hören. Es blickte auf und Sylwester erkannte ein weiblich wirkendes Gesicht. „Da bist du ja. Und wer ist das nun wieder?“ „Mein neuer Freund, Sylwester Fundig. Von der Erde“ „Aha.“ Sie schien gar nicht interessiert. „Immerzu bringst du irgendwelche Leute an, nie habe ich hier Ruhe“ meckerte die Frau des Langohrs, stand von ihrer Maschine auf und nickte Sylwester kurz zu. „Nun hab dich nicht so. Er ist ganz fremd hier, ich wollte ihm die Stadt zeigen. Wo ich doch sowieso unterwegs bin.“ „Du bist zu gutmütig. Aber, was solls. Nimm bitte die Pakete mit und bring sie zu Elli in der 49zigsten, sie weiß Bescheid“ „Gut, gut. Dann bis später. Ach, er bleibt vielleicht zum Essen.“ „Auch das noch“ Floh schnappte sich ein paar der herumliegenden Päckchen, pfiff fröhlich vor sich hin und deutete Sylwester ihm zu folgen. Dieser wunderte sich noch über die indirekte Essenseinladung und wollte sich gerade bedanken, da hüpfte der Mutant die Stufen hinunter, plapperte unaufhörlich „Weißt du, wir fahren jetzt zu einem meiner liebsten Läden, meine Frau sagt immer ich bummle zu viel in der Stadt herum, aber man lebt schließlich nur ein Mal und ich kenne eine Menge Leute…“, schon standen sie wieder vor der Tür. Die Sonne schien noch heller geworden zu sein. Sylwester schaute sich um. Die hohen Metallbauten glänzten, in den Straßen herrschte ein buntes Durcheinander an Robotern, Mutanten und den patrouillierenden Spinnenwesen. Floh rannte zum BFO und öffnete den Kofferraum, wo er die Päckchen verstaute. Dann setzte er sich ans Steuer und startete den Motor „Kommst du?“ Sylwester stieg ein. „Dann wollen wir mal. Ich zeige dir ein bisschen die Stadt bevor wir in die 49zigste fahren. Da wohnt und arbeitet eine Freundin von uns, sie verkauft in ihrem Laden einen Teil der Sachen die meine Frau anfertigt. Also…“ Sie fuhren los. „Wir sind hier in der Weststadt, das Handelszentrum quasi. Überall hübsche kleine Lädchen, natürlich gibt es auch die großen Kaufhäuser, aber da gehe ich nicht gerne hin. Zu anonym, zu viele Echsen, die dort herumschwirren. Hej, dein Taxigutschein, den kannst du in den großen Läden umtauschen, habe ich dir das schon erklärt? Nein? Also, folgendermaßen…eigentlich ist das Ding dazu gedacht, dich zu einem der zentralen Knotenpunkte zu bringen von wo aus das System dich einordnen kann. Aber nun habe ich dich ja schon in die Stadt mitgenommen. Es hat sich im Laufe der Zeit so ergeben, dass die großen Kaufhäuser die Gutscheine gegen Bares einlösen, anstatt einer Taxifahrt quasi. Auf dem Basar, wo wir uns kennengelernt haben, ist das auch möglich, aber da wirst du in der Regel nur beschissen. Oder du behältst ihn und fährst damit, allerdings ist das nicht wirklich nötig, ich nehme dich gerne überall hin mit. Na ja, überall nicht, aber solange wir in der Stadt bleiben kannste mitfahren, ich bin ohnehin ständig unterwegs.. wo wir dabei sind, es macht dir bestimmt nichts aus, wenn ich nebenher ein paar Gäste aufgable? Da stehen nämlich schon die ersten.. hej, ihr da!“ Er winkte einer kleinen Gruppe Mutanten zu, die auf dem Gehweg standen und nach etwas Ausschau hielten. „Braucht ihr einen Wagen? Ja? Super, ich bin gerade frei. Drei Mann passen noch auf die Rückbank.“ Mit diesen Worten fuhr er rechts ran und öffnete mit einem Knopf an der Armatur die hinteren Türen. „Alles einsteigen, bitte! Wo soll es denn hingehen?“ Die drei quetschten sich auf die hinteren Sitze und gaben eine Adresse an. Sie waren wie sein Freund sehr groß und schlank, hatten lange Haare und spitze Ohren, die aus den Frisuren hinausragten. Floh gab Gas und das Fahrzeug beschleunigte- Sylwester hatte sich mittlerweile an die atemberaubende Geschwindigkeit gewöhnt mit der sein neuer Bekannter durch die Straßen brauste. Er vergewisserte sich, dass das Fenster auch wirklich geschlossen war und lehnte sich zurück, die Fahrgäste durch den Spiegel beobachtend. Sie schienen über ihn gar nicht verwundert zu sein, beachteten ihn eigentlich kaum, sondern unterhielten sich in der fremden galoppierenden Sprache, die er schon aus dem Radio kannte. Sie hatten ebenso wie Floh große haarige Hände mit denen sie gerne gestikulierten und funkelnde Augen, die während der Unterhaltung zu blitzen schienen. Im Nu hielt der Wagen auch schon wieder an, die drei bezahlten und stiegen bei einer Gaststätte aus, wo offenbar gerade eine Feier stattfand. Das wiederholte sich ein paar Mal, der Wagen hielt immer wieder an und ließ neue Gäste einsteigen, wobei sie quer durch die Stadt düsten und Floh erklärte hier und da, wo sie sich gerade befanden. „Und hier haben wir das Rathaus, hier die alte Schänke, ach, da kommen Erinnerungen hoch, da drüben ist die Zentrale für Roboterangelegenheiten und da vorne dann das Büro für Migranten, gleich neben dem, wo man Wetten auf Straußenrennen abschließen kann. Ich würde allerdings von dem Spiel abraten, es hat schon so manchen ruiniert, diese Vögel sind schier unberechenbar.“ So ging es weiter bis Sylwester sich schließlich ganz gut in der Weststadt auskannte. Er begann sich schon ein wenig heimisch zu fühlen, einiges erinnerte ihn sogar an die große Stadt in der er arbeitete. Es gab sogar ein Redaktionsgebäude in dem ausschließlich Roboter arbeiteten, wie Floh erklärte. „Das ist nichts für uns Mutanten, wir Krzyp sind ein Volk das gerne mit den Händen arbeitet“ Irgendwann sagte er dann plötzlich „So, nun ist es genug, es wird ja bald dunkel und wir müssen noch zu Elli.“ Und raste wieder einmal durch die Straßen bis sie an einem der Hochhäuser stehen blieben.
Ellis Laden war auf den ersten Blick erkennbar durch die bunten Plakate im Fenster, die, das verstand sogar Sylwester, auf diverse Rabattaktionen aufmerksam machten. Es fing bereits an zu dämmern und er hoffte, dass Floh seine Essenseinladung ernst gemeint hatte und dass es auch etwas zu essen gab, das er vertragen würde. Sie stiegen aus, er half Floh die Pakete aus dem Auto zu laden und in den Laden im Untergeschoss des Hauses zu bringen.
Die Tür stand offen, es ertönte allerdings ein leiser Glockenton als sie eintraten. Auch Elli war ein Krzyp-Mutant, das erkannte Sylwester mittlerweile ganz gut. Sie saß an der Kasse und zählte Kleingeld mit ihren langen Fingern. Sie blickte nur kurz auf als sie eintraten und widmete sich sofort wieder ihrer Arbeit. Floh hüpfte voran und legte die Pakete auf dem Tisch ab auf dem jede Menge glänzende Teile lagen, die für Sylwester aussahen wie Autozubehör. An den Wänden hingen Fischernetze und die Regale waren vollgestopft mit Tüchern, Kisten auf dem Boden bis oben hin gefüllt mit Knöpfen, Türgriffen, allerlei Kurzwaren. Schließlich stand sie auf, das bunte Sommerkleid raschelte während sie auf sie zugeeilt kam, in ihren Bewegungen genauso blitzschnell wie sein Freund. Sofort fingen sie an in einer fremden Sprache aufeinander einzureden, Sylwester verstand rein gar nichts und lauschte trotzdem wie gebannt minutenlang der Unterhaltung. Dann legte er die Päckchen die er trug ebenfalls auf den langen Tisch in der Mitte und räusperte sich leise. Zwei Blicke durchbohrten ihn für wenige Sekunden bevor sie ihr Gespräch fortsetzten und Sylwester wartete höflich wie er war bis sie sich ausgesprochen hatten und sah sich weiter um. Die Fenster waren verdeckt mit langen Tüchern, die die Sonne fernhielten und den Raum bunt leuchten ließen. Zusätzlich hatte sie einige Kristalle an die Decke gehängt, die die vereinzelten Strahlen brachen und spiegelten. Alles hier glitzerte und funkelte irgendwie, selbst Elli hatte sich bunte Schnüre in die langen Haare geflochten, raschelte bei jeder Bewegung und sah aus wie ein schimmernder Regenbogen. Fundig fand es recht heimelig und fühlte sich wohl obwohl er von den beiden bisher komplett ignoriert wurde. Irgendwann wandte sie sich ihm zu und streckte die Hand aus. „Willkommen bei uns“ sagte sie freundlich lächelnd „Dieser Planet gehört zu den ruhigeren im System, du wirst dich hier bestimmt wohlfühlen“. Offenbar hatte Floh schon von ihm berichtet und Sylwester war ganz froh darüber, nicht alles von vorne erzählen zu müssen. Er lächelte ebenfalls und ergriff die lange Hand mit glänzenden Ringen an den Fingern.
Sie setzten sich an den kleineren runden Tisch im hinteren Bereich und Elli machte ein teeartiges Getränk an einer kleinen Theke. Er trank das heiße Wasser mit weißen, süßlichen Blüten einer unbekannten Pflanze und ließ sich erklären, was Elli in ihrem Laden verkaufte. „Das sind im Prinzip Dinge des täglichen Bedarfs, Netze für die Fischer, Nähzubehör. Es gibt hier einen guten Markt für sowas, weil der Hafen ganz in der Nähe ist“ erklärte sie. „Dort legen täglich hunderte von Schiffen an, meistens mit Stoffen aus Helenien, gleich auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht. Sie züchten Schafe und Ziegen mit hervorragender Wolle“ Sie waren also am Meer – Sylwester dachte an die rötlich brodelnden Flächen, die er vom Raumschiff aus gesehen hatte und fragte nach. „Ja, so sieht das Meer aus. Es ist aber nicht gefährlich, angenehm warm und das ganze Jahr über friedlich. Keine Stürme, wie auf anderen Planeten. Gefährlich, mein Freund, sind nur die Seen, wenn sie grünlich schimmern. Hochgiftig, mutierte, angriffslustige Fische…“ Sylwester seufzte und dachte an die große Seenplatte zu Hause, wohin er so gerne zum Fischen hinausfuhr. „Hej, nicht den Kopf hängen lassen“ Floh legte die Spitze eines Ohres auf seine Schulter. „Wie wärs wenn wir zum Essen fahren? Frauchen wird uns schon erwarten. Morgen früh fahre ich dich dann zu einem der großen Kaufhäuser wenn du magst“ Gesagt, getan, sie standen auf, bedankten sich für den Tee und machten sich auf den Weg. Innerhalb weniger Minuten waren sie schon da. Die Näherin stand vor der Hütte und hängte Wäsche auf. Zu ihren Füßen saß ein zweiköpfiger, schwanzwedelnder Hund, der sich immer wieder zufrieden im Gras wälzte. Floh schloss das BFO an eine Art große Steckdose an, die sich in einer Säule vorm Haus befand und eilte hinein.