Aber es sollte anders kommen. Es war eine dieser morgendlichen Fahrten und ich fiel immer wieder in einen Sekundenschlaf während ich meiner Begleitung nur halb zuhörte. Manchmal, das darf man ja heutzutage gar nicht so sagen, erfreute ich mich mehr an der Melodie ihrer Erzählungen als an deren Inhalt. Das symmetrische Wesen aber entsprang wie ich einer anderen Zeit, so dass es sie gar nicht störte. Ich lauschte und schlief oder ließ meine Gedanken schleifen, die Strecke konnte ich mit geschlossenen Augen fahren. Auf halbem Weg erreichte mich dann ein Signal auf dem Knopf im Ohr – ein Anruf. Der junge Mutant war dran und teilte mir mit, dass er in der Spielhalle war, ich sollte doch dahin kommen. Um diese Uhrzeit dachte ich noch bei mir und dann nichts weiter und bog ab. Meiner Begleitung fielen seit geraumer Zeit ebenfalls die Augen zu, so dass ich sie auf dem Beifahrersitz schlafen ließ und alleine in die Halle ging.
Es war recht bedrückend. Noch war überall der Energiesparmodus eingeschaltet, die Straußenvögel schliefen im Stehen und in der großen, düsteren Eingangshalle brannte nur ein Licht, dort am Tresen, wo sich die ganz harten Zocker versammelten und aus Langeweile alte Würfelspiele spielten. Mein Bekannter war gerade dabei, einen Purzelbaum zu schlagen während er seine Würfel in die Höhe warf, sehr geschickt wieder auffing und auf den Tisch knallte. „Drei Neunen!“ rief er und machte einen kleinen Hüpfer (Das war ich schon von ihm gewohnt, er war insgesamt sehr zappelig). Emsig trugen alle die Zahl in ihr kleines Spielbuch ein und die Würfel wurden weitergereicht. Ich winkte ihm zu und blieb im Halbdunkeln stehen, denn eigentlich wollte ich nicht von den anderen bemerkt werden. Unbeholfen wie er war, verstand er das offenbar nicht, denn er rief mir ein lautes „Ahoj!“ zu und deutete mir, zu ihm zu kommen. Widerwillig, denn ich malte mir schon aus, dass ich gleich in Gespräche verwickelt werden würde, trat ich ins Licht und ging auf den Tresen zu. Wie erwartet gingen sofort diverse Unterhaltungen los-wer, wohin und wann und vor allem welches Spiel. Sie redeten sehr schnell alle durcheinander und kaum noch mit mir, was mich ziemlich freute. Ich erfand Dinge über meine Herkunft und erwähnte ein paar Spiele, die ich in meiner Jugend ausprobiert hatte, um gut anzukommen und wandte mich wieder meinem Mutanten zu.
„Hier ist es“ sagte ich und drückte ihm das Päckchen in die Hand, drehte mich um, um zu gehen, denn meine Schicht in der Fabrik sollte bald beginnen. Da gab es einen lauten Knall. Die Eingangstür wurde aufgestoßen und dahinter standen ein paar Robotoiden, bedrohlich mit ihren Augen funkelnd. Sofort wurden wir von den Robos umzingelt und ich sah, dass manche von ihnen menschliche Züge hatten- schon wieder die Halbroboter. Wortlos und unheimlich blitzend kam der größte auf mich und den Jungspund zu, riss ihm das Paket aus der Hand und schon waren sie wieder verschwunden. „Oh, das gibt Ärger“ murmelte der Kleine und sah mich hilflos an. „Wir müssen die Echsen benachrichtigen“ sagte ich zu ihm „Ich habe aber keine Zeit“ Ich versprach mich am Nachmittag nach der Lage zu erkundigen, verließ die Spielhalle und ging wieder zu meinem BFO, wo das symmetrische Wesen tief und fest schlief – sie hatte von der ganzen Aufregung gar nichts mitbekommen. Sie wachte erst auf, als wir vor der Fabrik hielten; auch sie arbeitete hier, allerdings in einem völlig anderen Gebäudekomplex. Ich setzte sie ab, parkte das BFO und begab mich zu meiner langweiligen Arbeitsstelle. Die Zeit wollte an diesem Tag einfach nicht vergehen. Ich schraubte, sortierte aus, reparierte und sortierte bis es endlich Mittag war und ich Hilde am Flugplatz abholen konnte.
Der war etwas weniger aufgeregt als ich vermutet hatte. Es wäre klar gewesen, dass so etwas irgendwann passieren würde, ich solle froh sein, dass es dem Mutanten und nicht mir, wobei, „Alter, lass uns erstmal hinfahren und sehen, was in der Zwischenzeit so los war“. Und so eilten wir im Affenzahn zur Wohnung des Jungspunds wo wir niemanden antrafen.
„Gut, was machen wir? Auf zu deinen Echsenfreunden?“ grinste Hilde ein wenig weggetreten wie mir schien und setzte sich wieder ins BFO. Ich seufzte und drückte aufs Gas. In Höchstgeschwindigkeit raste ich den Berg rauf und durch die Felder und den Wald wieder runter bis zum Anwesen der Echsen. Schon am Eingang beschlich mich ein eigenartiges Gefühl – die Miniaturdrohne, die sonst das Tor bewachte, war verschwunden. Wir liefen die lange Einfahrt rauf, diesmal hatte Hilde es sich nicht nehmen lassen, einfach mitzukommen, und schon von Weitem fiel mir die gespenstische Leere auf. Keine spielenden Kleinechsen auf dem Gras, kein Gewusel und Gehusche, nirgendwo.
Auch die Echsen waren verschwunden.
In den nächsten Tagen versuchte ich den einen oder anderen zu erreichen, war sogar ein paar Mal in der Spielhalle und nochmal auf dem Anwesen, aber sie schienen wie vom Erdboden verschluckt. Ich fragte beim Nachbarn des Mutanten nach, aber der schien sich gar nicht an den Jungspund zu erinnern. In der Halle gab man mir ausweichende Antworten, schaute konsequent an mir vorbei und gab sich teilnahmslos. Ich war völlig ratlos während Hilde nächtelang philosophierte und theoretisierte. Schließlich vergingen ein paar Tage und ich gewöhnte mich auch an das, tat es ab, wie einen dieser vielen merkwürdigen Zwischenfälle, die mir schon untergekommen sind.
Zwischendurch hatte die Übergangsregierung eine Sturmwarnung herausgegeben. Viel war da eh nicht zu machen. Der von der magnetischen Welle zerstörte Planet stand dem nahenden Unwetter zwar nicht völlig schutzlos, aber auch nicht voll funktionsfähig gegenüber. Die Stimmung in der Stadt war aber eher gelassen, man machte das Nötigste und lebte einfach weiter, hoffte das Beste. Ich verbrachte eine schöne Zeit, tagsüber mit meinem symmetrischen Geschöpf und nachts mit Hilde und den Robotern, ständig übermüdet und mit dem Kopf in den Wolken dank der nächtlichen Eskapaden.
Und dann zog der Sturm einfach an uns vorbei.
Nicht ohne Konsequenzen, denn Pepe hatte beschlossen, das BFO wieder auf den neusten Stand zu bringen, Notfallausrüstung zu packen um jederzeit startklar zu sein. Eine etwas hektische Angelegenheit, aber sollte es hart auf hart kommen, war es doch tröstlich zu wissen, dass man mit dem kleinen Raumflitzer spontan durch die Atmosphäre verschwunden sein konnte.
Jetzt bin ich wieder etwas vom Thema abgekommen….trotz Allem ging der Alltag weiter, ich gurkte durch die Gegend, bastelte an Robotern, schraubte an den Skates, träumte vor mich hin und doch war da dieses Gefühl von Heimatlosigkeit, vielleicht eine Vorahnung, dass wir bald aufbrechen würden. Ich hatte ja keinen Schimmer, dass das, was da kommen sollte, so viel Spaß machen würde. Aber von Anfang an – die nächste Sturmwarnung nahm keiner mehr ernst.
Glücklicherweise planten wir gerade einen von Hildes wahnwitzigen Ausflügen; manchmal bekam er seinen Film und wollte unbedingt weg, egal wohin, und bequatschte und so lange, bis wir alles stehen und liegen ließen und im Weltraum picknicken gingen. Dieses Mal sollte es immerhin ein Abstecher nach #1,7 werden, ein Gebiet mit riesigen, schmetterlingshaften Flugwesen, die ihre Nester auf eiskalten Planeten webten, weiten Flächen mit selbsterwärmenden Steinen, rauschenden Obstbäumen, schimmernden Wasserpferdchen, die in kristallklaren Gewässern hausten.
Als der Sturm also über den Planeten hinwegfegte, waren wir schon weit weg, irgendwo in der Nähe von #1,5, wo wir auf einer der festen Wolken über dem kleinen verregneten Himmelsobjekt das Treiben der jungen Elefanten beobachteten, die hier so häufig zu finden waren.
Einer pustete eine riesige Seifenblase aus seinem Rüssel, während der andere umhertollte und den Schmetterlingen nachjagte. Wir lagen auf der Wolke und ließen die Gedanken schweifen.
Morgens war es noch nebelig gewesen und nun dieser strahlende Sonnenschein, ohnehin ungewohnt für diesen Planeten, aber das übertraf wirklich alles. Ein dicker, leuchtender Regenbogen surrte über unseren Köpfen, die Elefanten tobten und rempelten sich gegenseitig an, pusteten Seifenblasen und wälzten sich im warmen Strudel. Von hier aus konnte man direkt hineinspringen in das grünlich glänzende Wasser, die Tiere waren zahm und zutraulich und es war eine Freude mit ihnen um die Wette zu schwimmen. Pepe saß im Schneidersitz in der Mitte unserer kleinen Wolke, direkt neben dem BFO und hatte die Brille und einen ernsten Blick aufgesetzt. Ich wollte aber gar nicht erst fragen, weil er mir schwer nach einem seiner Vorträge aussah, wichtige, nützliche Dinge, natürlich, die er da von sich gab, aber manchmal war mir einfach für eine Weile lang nach Schweigen. So war ich auch froh, dass Hilde ebenfalls gerade Ruhe gab, vertieft in die Einstellungen der kleinen Unterwasserdrohne, die er extra für diesen Ausflug gebaut hatte. Ich war abgelenkt. In Gedanken bei meinem symmetrischen Geschöpf, als hätte ich eine Vorahnung, dass ich sie lange Zeit nicht mehr sehen sollte.
Ach, ich kann ja noch ein Mal abschweifen….wie ich das symmetrische Wesen kennen gelernt habe, ist auch eine Geschichte für sich. Es ging um eine Katze. Eine herrenlose, die mir eines Tages nach Hause gefolgt war, ein verwahrloster, dreckiger Flohzirkus. Ich hatte eigentlich gar keine Zeit und auch keine große Lust mich um das Tier zu kümmern, war kein Katzenfreund. In meiner Kindheit gab es viele, fünf Katzen, die den Hof der Großeltern bewohnten und zwei Hunde, denen sie auf der Nase rumtanzten. Ich ging gerne mit den Hunden, rannte den Weg entlang, neben mir die zwei, jauchzend und immer wieder in die Luft springend. Mit den Katzen konnte ich nichts anfangen, launische, mysteriöse Wesen, die mich von oben beobachteten, wenn sie auf dem Dach des Gartenhäuschens saßen oder auf einem der Balkone. Diese leuchtenden, durchdringenden Augen, dieses ganze Wesen, so ganz und gar nicht greifbar. Ich mochte konkrete Sachen. Jedenfalls, der Streuner, ein äußerst freundliches Tier, das musste man ihm lassen. Ließ sich ohne Widerstand baden, abtrocknen und trocken föhnen, auch das erschien mir sehr untypisch für eine Katze. Nach dem Baden fand ich heraus, dass er gar nicht grau war, sondern rot getigert, mit wunderschönen grünen Augen, eine recht kleine Katze, nicht wie die Monster, die manchmal auf dem Dorf rumlaufen. Keine Spur von Mutation, es musste dennoch eine sein, die auf dem Land groß geworden war. Die Katzen in der Stadt sind ja alleine schon durch das gefilterte Trinkwasser mutiert. Wie dem auch sei, sie beschloss bei mir zu bleiben. Es vergingen ein paar Wochen, der Stubentiger gewöhnte sich an mich und ich an ihn, er spazierte morgens durchs Fenster hinaus und miaute abends vor der Tür, damit man ihn rein ließ. Eine merkwürdige Freundschaft, ich wunderte mich jeden Tag über ihn und seinen Entschluss und erwartete eigentlich ein so abruptes Ende, wie es der Anfang auch war. Und zunächst sah es auch ganz danach aus, denn eines Tages stand das symmetrische Wesen vor meiner Tür, klopfte und hämmerte und schrie mich an, als ich aufmachte. Ich verstand nur Mutantendialekt und zwischendurch das Wort Katzendieb, ihre Augen sprühend vor Wut, die Haare abstehend, als hätte sie gerade einen Elektroschock bekommen.
Ich versuchte, mich zu erklären, aber sie hörte nicht zu, stürmte in die Wohnung, schnappte die Katze und weg war sie. Ich war zunächst etwas schockiert, aber im Laufe der Zeit überwog die Traurigkeit. Der Kater war weg. Und eine Woche später stand er wieder da, völlig durchnässt, denn er war im strömenden Regen zu mir gelaufen. Ich ließ ihn rein und machte einen Tee. Irgendwie freute ich mich bereits auf das schöne Wesen, das bestimmt gleich wieder an meine Tür donnern würde. Diesmal kam sie ganz kleinlaut, der Regen tropfte ihr aus den Haaren und von den langen Wimpern. Ein Halbmutant aus #1, sie waren selten hier in meiner Gegend, aber sofort erkennbar an den giftgrünen Augen, noch mysteriöser als die Augen ihrer Katze. Vorsichtig bot ich den Tee an und hatte Glück. Der Regen hatte ihr sichtlich zugesetzt. Wir redeten und stellten fest, dass der Kater die Nächte offenbar bei mir verbrachte und tagsüber bei ihr verweilte, denn sie arbeitete in der Nachtschicht in einer der vielen Fabriken am Stadtrand. Wir wurden Freunde. Sie sprach nicht viel, aber wenn sie etwas sagte, lauschte ich wie verzaubert dieser melodischen Stimme und verstand nicht ein Wort wegen des eigentümlichen Akzents. Ich reimte mir viel zusammen und lernte heimlich die Mutantensprache aus #1, ein recht kompliziertes Unterfangen, aber als Belohnung wurde ich begeistert in ihre Heimat eingeladen. Und so begann es. Dort angekommen, stellte ich fest, dass die Mutanten dort ganz versessen auf die Hydroplasmaableger waren, die ich zufällig bei meinen Arbeiten am BFO produzierte. Was für mich ein Abfallprodukt war, war diesen Leuten viel wert. Ich knüpfte ein paar Kontakte, traf Vereinbarungen und schon war ich regelmäßiger Gast auf dem idyllischen #1.2. Aber auch ohne die Hydroplasmageschichte hätte ich einen Grund gefunden, meine neue Freundin zu besuchen. Nachdem sie also ein halbes Jahr auf meinem Planeten verbracht hatte fuhr sie zurück in die Heimat und nahm die Katze mit. Ich blieb zurück und sah sie nur noch bei meinen geschäftlichen Reisen alle paar Wochen. Und dann..naja. Dann kam der Sturm, wie ihr schon wisst. Wir verbrachten eine schöne Zeit bei der sehr gastfreundlichen Mutanten, überlebten die magnetische Welle, halfen bei den Aufräumarbeiten. An diesem Tag wollte sie uns eigentlich nach #1.7 begleiten, entschloss sich aber spontan zu Hause zu bleiben. Ich sollte sie erst Monate später wiedersehen.