Ich war gerade auf dem Rückweg vom Echsenanwesen, als es mich fast von der Gasse fegte. Ich riss das Lenkrad rum, drückte aufs Gas und fuhr, schwankend wie ein illegales Taxi, mitten durch. Es dauerte nur wenige Sekunden, eine gewaltige Druckwelle, danach war alles ruhig. Die Straßen waren weitgehend intakt geblieben, hier und da lagen einige Trümmer der zerstörten Häuser. Es würde tausende Todesopfer geben, das war mir sofort klar. Ich fuhr so schnell ich konnte um zu sehen, ob unsere Bleibe noch stand.
Das Haus stand noch und auch unser Schuppen im Hinterhof. Wie durch ein Wunder war alles intakt geblieben, sogar Pepes Laborausrüstung hatte größtenteils überlebt. Ich blieb mit quietschenden Reifen stehen und sprang aus dem Auto. Durch die Fenster konnte ich sehen wie Hilde und Pepe Scherben aufsammelten, ich atmete auf und warf einen Blick auf mein Fahrzeug – die Außenhülle war etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, nichts, was man nicht wieder in Ordnung bringen konnte.
Nebenan im Haupthaus hörte ich eine lautstarke Unterhaltung in Mutantensprache, ich verstand nicht viel, weil sie so hastig redeten, dass sie manchmal Silben verschluckten oder ganze Worte. Ihre Stimmen überschlugen sich, es polterte und krachte da drin. Mein symmetrisches Geschöpf saß draußen im Garten und starrte vor sich hin. Ich eilte in den Schuppen um zu sehen wie groß der Schaden war.
Immerhin hatten wir überlebt. Es lief der inoffizielle Nachrichtenkanal, ein von Mutanten eingerichtetes Funknetz nachdem die Systemnachrichten immer wieder ausfielen. Wie vermutet, handelte es sich um eine magnetische Welle, die grob aus der Richtung des zweiten Systems gekommen war. Ungewisse Anzahl der Opfer, da das Netz nur noch vereinzelt funktionierte. Die Drohnenbilder, die ankamen, ließen die Schlussfolgerung zu, dass ganze Städte zerstört worden waren.
„Wieder einmal Zeit zum Packen“ bemerkte Pepe und sortierte weiter seine Ausrüstung. „Nimm das Nötigste und stopf es in deinen Rucksack. Wir müssen jederzeit bereit sein aufzubrechen.“ Hilde warf mir einen der Nanorucksäcke zu und widmete sich ebenfalls wieder seinem Kram.
Ich verstand schon, wir hatten darüber gesprochen. Sollte die Welle, wahrscheinlich in abgeschwächter Form, das System erreichen, mussten wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass weitere Ereignisse folgen könnten. Klar ist, dass solch starke magnetische Schwingungen eine Auswirkung auf alle Geräte haben würden, sogar auf die Chips der Roboter, wie man mittlerweile festgestellt hatte. Bisher war es gelungen zumindest das Notfallnetz ohne größere Ausfälle aufrecht zu erhalten. Jetzt, nach der Welle, funktionierten nur noch Teile davon.
Langsam brach das Chaos in den Straßen aus. Tagsüber ging es noch, aber nachts, mit der Notbeleuchtung, flippten manche Bewohner völlig aus. Die verwirrten Roboter taten ihr Übriges. Alles lief durcheinander, ziellos teilweise, teilweise sich an alte Strukturen klammernd, alles irgendwie planlos. Die Roboter arbeiteten nicht mehr, zumindest nicht für Mensch oder Mutant. Niemand schien so richtig zu wissen, was zu tun war und der Kontakt zur Weltenregierung war schon vor Wochen abgebrochen, noch bevor wir in dem System ankamen. Eine provisorische Regierung aus Mensch und Mutant fand sich schnell zusammen, wurde aber von einigen wenigen Bewohnern nicht anerkannt. So merkwürdig das auch klingt, mit der Zeit gewöhnte man sich daran, zumal alles vorher auch schon monatelang recht wirr gewesen war.
Ich fuhr weiterhin meine Runden. Die Echsen und der Jungspund bestanden auf eine Fortsetzung meiner Dienste, was mich ziemlich überraschte, ich war aber froh eine Beschäftigung und ein Einkommen zu haben, die meisten Leute, wie auch die Mutanten, deren Schuppen wir bewohnten, hatten ihre Anstellung verloren, weil zum Teil die Gebäude einfach nicht mehr standen. Es musste erst einmal wiederaufgebaut werden, alles andere wurde hinten angestellt, der Ursprung dieser Welle, das merkwürdige Verhalten der Roboter – Sie waren uns gegenüber nicht feindselig, allerdings auch nicht wirklich freundlich.
Die Stimmung zu Hause war eher bedrückt. Unsere Gastgeber sahen wir nur noch beim morgendlichen Appell, zu dem man sich nach der Welle nun traf bevor die Aufräumarbeiten weitergingen. Jeder werkelte in den Nachtstunden an seinem privaten Kram, so dass wir tagsüber völlig fertig waren und kaum etwas von unserer Umwelt mitbekamen. Zumindest mir ging es so. Ich war in der DaimNA Werkstatt für BFO-Zubehör gelandet, eine vergleichsweise einfache Aufgabe. Alle zerstörten BFOs sowie auch anderer Schrott wurden in einer großen Halle gelagert und langsam abgetragen und wieder flott gemacht oder ausgemustert. Ich war dafür zuständig, die noch brauchbaren Teile aus den ausgemusterten Geräten auszubauen. Saß da in einem kleinen Kämmerchen am Ende der Werkstatt während alle anderen draußen im Hof arbeiteten. Pepe hatte es noch schlimmer getroffen – er wurde abberufen in einem der großen Labore zu arbeiten, streng geheimer Kram in völliger Isolation. Nur durch eine gefälschte Sondergenehmigung konnte er nach der Arbeit nach Hause gehen. Hilde, der Glückspilz, war zuständig für Geschwindigkeitstests der größeren Raumfahrzeuge, die paar, die in der Atmosphäre waren während die Welle den Planeten überrollte, waren noch intakt, wurden aber aufs peinlichste genau überprüft. Er durfte also den ganzen Tag lang durch die Gegend fliegen. Ich war ohnehin völlig überfordert, die Arbeit in der Fabrik, die heimlichen Botengänge für die Echsen, hier musste alles so schnell wie möglich vonstatten gehen, warum auch immer, aber sie bestanden darauf, dass alles im Morgengrauen erledigt wurde. Dann die Nächte, in denen ich mit Hilde an unseren Bootskates schraubte. Während meiner morgendlichen Fahrten konnte ich kaum die Augen offen halten. Es war leider auch die einzige Zeit in der ich mein symmetrisches Geschöpf sah, denn wir trafen uns heimlich noch vor dem Appell, wenn ich meine Runden drehte. Es war eine merkwürdige Zeit, die Straßen noch leer und nur spärlich beleuchtet, still, die Luft glasklar, nur wir zwei und das BFO, das Dank der eingebauten Schalltechnologie so leise wie ein schlafendes Kätzchen war. Die Stadt wurde langsam mein Zuhause, in den Straßen kannte ich mich aus wie in meiner Manteltasche. Ich genoss die morgendlichen leichten Gespräche, die ich im Halbschlaf führte, es war eine Zeit ohne Anstrengung. Die Trümmer, die vielen Leichen, die Situation mit den Robotern, all das schien am Morgen noch so weit weg zu sein. Vielleicht hielt ich auch deshalb, aus dieser morgendlichen Geborgenheit heraus, leichtfertig wie sonst nur Hilde sein konnte, die Echsen für meine Freunde. Eigentlich war mir stets bewusst, dass ich sie nicht einschätzen konnte. Und trotzdem fing ich an ihre Gesichtsausdrücke, wenngleich sie auch minimal und unpassend waren, zu deuten, ich bildete mir ein ich könnte sie verstehen und es gäbe da eine Art Kanal über den wir kommunizierten. Was man sich alles einbilden kann. Aber auch das ist eigentlich eine andere Geschichte. Ich war also einigermaßen vergnügt wenn auch todmüde, alle meine Lieben waren am Leben, ich hatte zwar nur noch Nachts Zeit für meine spaßigen Unternehmungen und Hobbys, aber das war in Ordnung. Ich überlegte sogar, mich für immer niederzulassen.
Wie dem auch sei, die Echsen hatte es schwer getroffen. Das Anwesen bot einen katastrophalen Anblick, die Fassade beinahe vollständig niedergerissen, ganze Räume, die ins Freie mündeten. Man versammelte sich nun draußen im Innenhof, sie wirkten irgendwie fahrig, waren schlanker und, so schien mir, auch ein wenig länger geworden. Der Jogger behandelte mich ausgesucht höflich, zahlte gut und stellte nicht viele Fragen. Ich auch nicht, obwohl Hilde so darauf brannte zu wissen was es mit dieser Pflanze auf sich hatte, mir fiel jedoch erstens nichts ein, was ich sagen könnte um das anzusprechen- durch das Chaos um mich herum waren meine Gedanken träge wie ein schwüler Sommertag- und zweitens war es mir auch im Grunde gleichgültig. Leben und leben lassen, sollten sie doch ihre kleinen Experimente machen, ich machte ja auch die meinen. Es hätte mir natürlich zu denken geben müssen, diese ganze Geheimniskrämerei und sie brauchten unbedingt mein, ein nicht registriertes BFO, die Naivität des jungen Mutanten, die er mit seinem ganzen Wesen ausstrahlte und das verhohlen feindselige Verhalten der ganz jungen Echsen. Ich tat es ab, war doch alles an ihnen so merkwürdig. Der Jogger lächelte indes immer häufiger, manchmal gab er sogar ein zufriedenes „Vielen Dank“ von sich, zwar an völlig unpassender Stelle, aber es freute mich irgendwie trotzdem.
Der Wiederaufbau lief währenddessen schleppend und die Situation mit den Robotern drohte gelegentlich zu eskalieren. Sie hatten sich grüppchenweise zusammengeschlossen und stellten nun Forderungen. Ein wenig absurd, gehörten sie doch zu denjenigen, die die Legitimität der Übergangsregierung bei jeder Gelegenheit in Frage stellten. Nicht wie die Echsen, die sich so still und leise an alle Begebenheiten des jeweiligen Systems angepasst hatten, dass sie stellenweise kaum von uns bemerkt wurden. Das hier war ein Zwergenaufstand erster Sahne, ich fand mich schon ein wenig belustigt über die ganze Situation, die eigenartigen Bewegungen, die sie plötzlich an den Tag legten, ihre Vorliebe für Öl und ihre seitenlangen Schriften mit denen sie regelmäßig das Parlament bombardierten – bis ein paar militante Gruppen auftauchten. Es war überschaubar und auf den ersten Blick nicht wirklich gefährlich, aber immerhin- ein paar Robos, meist aus neueren Generationen, hatten sich zusammengeschlossen und aufgerüstet, rannten oder rollten besser gesagt mit hochmodernen Waffen durch die Gegend und gaben plumpe Parolen von sich. Niemand nahm sie wirklich ernst und dennoch hatte ich ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Ansonsten war mir auch die neue Selbstständigkeit der Roboter schnurz, solange ich nur in Ruhe meinen Kram machen konnte…es tat mir aber leid um Charles, unseren kleinen Hausroboter, der seit der Welle spurlos verschwunden war. Er war ein Roboter der ersten Generation, selbstgebaut und etwas einfältig im Aussehen, mit den Jahren aber von jedem von uns so perfektioniert, dass er ein wahres Multitaskinggenie war. Er half Pepe im Labor, kochte für uns, rüstete das BFO, baute mit Hilde an den Miniaturdrohnen und so vieles mehr. Während sich bei den Robotern die ersten Anzeichen ihrer „neuen Form“ bemerkbar machten, stellten wir an Charles zunächst kaum eine Veränderung fest. Er war etwas sarkastisch geworden, wir nahmen aber an, er hätte zu viel Zeit mit Hilde verbracht, der gerne am Sprachprogramm rumfummelte und dem Kleinen unflätige Ausdrücke beibrachte. Die überlangen, ausfahrbaren Arme, die er von Pepe hatte um bei Laborarbeiten zu helfen, hatte er sich noch um gut einen halben Meter verlängert. Auch er hing öfter am virtuellen Seher, fand aber immer noch genug Zeit um uns zu helfen, völlig anders als die übrigen Robos, die jegliche Mitarbeit eingestellt hatten. Wir hatten uns längst an ihn als ein Mitglied unserer kleinen Gruppe gewöhnt. Es fiel sofort auf, dass er verschwunden war, denn wir vermissten seine flinke Art bereits bei den ersten Aufräumarbeiten in unserem Schuppen. Hilde hatte mit ihm Karten gespielt wie jeden Mittwoch, das Wetter war schön, also hielten sie sich draußen im Garten auf. Nach der Welle fand Hilde sich am anderen Ende des Grundstücks wieder während C, wie er ihn manchmal rief, nicht auffindbar war. Zunächst nahmen wir an, es hätte ihn einfach nur sehr weit weg gefegt, schließlich bestand er aus dem leichten Metall, das auch für die BFO-Herstellung verwendet wurde. Den Rückweg hätte er Dank des GPS-Programms aber ohne Probleme finden müssen. Als er also nach drei Tagen immer noch nicht zurück war, fingen wir an uns zu sorgen. Ob er vielleicht irgendwie beschädigt war? Viele Robos mussten erst einmal gewartet werden, allerdings übernahmen sie diese Aufgabe selbst, die meisten von ihnen hatten ja die integrierten Reparaturprogramme. Schließlich, nachdem wir sogar eine Anzeige im lokalen Blättchen aufgegeben hatten, blieb uns nichts Anderes mehr übrig als auf seine Rückkehr zu warten.