Wir fuhren los. Hilde holte die obligatorischen Glückskekse aus dem Handschuhfach und mampfte vor sich hin. Pepe rechnete auf dem Rücksitz an irgendetwas, eingepfercht zwischen all unserem Plunder. Anstatt uns in der Schlange zum Beamen anzustellen, fuhren wir die Nebenstrecke die drei Tage dauerte, allerdings war man hier absolut ungestört. Um das ganze abzukürzen: Die Fahrt verlief ohne nennenswerte Vorfälle, keine Piraten, weder magnetische Stürme noch zu starker Sonnenwind.
#1 lag in einer ruhigen Ecke, scheinbar passierte hier einfach gar nichts, man lebte mehr oder weniger friedlich miteinander, betrieb noch Viehzucht und Ackerbau obwohl auch sie Zugriff auf die neusten Lebensmitteldrucker hatten. Niemand interessierte sich wirklich dafür, was hier vor sich ging, zumindest nicht in unserem System.
Im Gegensatz zu uns, natürlich. Ich liebte die kleinen Ausflüge dorthin, immer wenn ich genug Plasmaableger hatte, stattete ich den Clans einen Besuch ab. Auch jetzt freute ich mich auf ein Wiedersehen. Sie waren ein insgesamt eher streitlustiger Haufen. Hin und wieder bekriegten sie sich untereinander, eine besonders lästige Sache wenn man gerade nur eine nette Zeit verbringen wollte und plötzlich, nach Monaten der Ruhe, wieder Krieg und Zerstörung vorfand. Es hielt sich jedoch alles in Grenzen und meistens konnten wir uns auf einen angenehmen Aufenthalt freuen. Auch in Friedenszeiten waren sie, wie soll ich sagen, eher hitzigen Gemüts, stritten sich lauthals, warfen Teller gegen den Boden und fluchten. Im nächsten Moment konnten sie wieder liebenswürdig und freundlich sein.
Wir setzten zur Landung an indem das BFO in den Kopplungsmodus wechselte und an der Andockstation seine Form anpasste. Ich fuhr durch die Innenstadt auf der Suche nach einer Tankstelle und wunderte mich über die Veränderungen. Scheinbar hatten sie modernisiert. Die Häuser waren jetzt höher, in den Straßen mehr Roboter zu sehen. Wir fanden uns schnell zurecht, tankten, machten uns auf den Weg zur Siedlung am Stadtrand. Dort wohnte sie mit ihrer Familie und sie hatten uns erlaubt, den Schuppen auszubauen, der hinter ihrem Häuschen lag. Wir hatten ihn in drei kleine Zimmer, große Küche /Versammlungsraum und Bad aufgeteilt. Eigentlich war es hier schon fast gemütlich. Ein großer Garten vor der Tür, den wir mitbenutzen durften. Ein riesiger Baum in den sie ein Baumhaus gesetzt hatten, wo sie sich alle regelmäßig trafen, unten ein Feuer machten und Familienfeiern veranstalteten. Es war idyllisch, ließ mich fast das Heimweh und die Sorgen vergessen. Dieser herrliche Fleck Erde war einfach ideal um sich zurückzuziehen. Ein Groß an Wäldern mit einem See in der Mitte. Einige wenige Tretboote im abgegrenzten Gebiet, ansonsten Naturschutzbereich – wo das Auge hinsah, wilde Pflanzen und Tiere.
Und hier sollte ich eine Bekanntschaft machen, die mein Leben für immer verändern würde. Ich ging nachmittags ins Café um in Ruhe an meinem Roman zu schreiben, ein Hobby, das ich mir selbst in harten Zeiten erlaubte, konnte ich schon keine Rennen mehr fahren. In der Anfangszeit nutze ich jede freie Minute, eine gute Möglichkeit, mich abzulenken von der ständigen Gefahr, der wir so machtlos gegenüber zu stehen schienen. Es ging nicht gut voran. Schreibblockaden war ich zwar gewöhnt, aber das war nun etwas Anderes. Ich verbrachte also viel Zeit mit meinem symmetrischen Geschöpf, lag im Gras, trank Tee und schraubte an meinen Bootskates, so dass sie langsamer aber etwas stabiler wurden, eine Maßnahme für zukünftige Reisen, die ich so manches Mal danach verflucht habe. Die Taschen voller Glückskekse zum Knabbern, die Hilde in riesigen Mengen mitgenommen hatte, setze ich mich auf die alte Couchgarnitur und packte meinen Kram aus. Und da sah ich ihn, in der Ecke, wie er mich beobachtete, ein Echsenmann, dünn, mit markanter Nase und stechenden schwarzen Augen. Er hatte sich wie ein Jogger angezogen, mit Trainingsanzug und der Mütze tief im Gesicht, die Sonnenbrille darüber. „Wer bist du denn?“ fragte er direkt als er meinen Blick bemerkte. „Normalerweise komme nur ich hierher“ „Ich bin ein Gast. Auf unbestimmte Zeit..“ „Natürlich“ Er setzte sich zu mir. „Sag mal.. willst du dir etwas dazuverdienen? Keine große Sache, nur ein paar Botengänge für die Echsengemeinschaft..wo du doch hier gestrandet bist..“ er schaute mich prüfend an „Dir muss doch schrecklich langweilig sein.“ Langweilig war es, ohne Frage. Ich fragte gar nicht erst, warum sie ihre Botengänge nicht allein erledigten, es lag auf der Hand. Die Echsen verließen nur höchst ungern ihre vertrauten Gebiete, wenn sie sich irgendwo ansiedelten, blieben sie dort und unter sich. Die Echsengemeinschaft in diesem Gebiet bestand aus rund 20 Mann, eine kleine Gruppe Außenseiter, wie sie es überall waren. Ich wurde neugierig. „Gut, ich beiße an“ Ich bot ihm einen Glückskeks an und wartete auf weiter Erläuterungen. „Also, wir leben im Westen der Stadt“. „Richtig“ Typisch Echse, würde er bestimmt gleich auf den Punkt kommen. „Es geht um kleinere Besorgungen im Zentrum, ein paar Geschäfte, die wir mit den Mutanten unterhalten.“ Das allerdings war neu. Echsen und Mutanten? Eine ungewöhnliche Kombination. Ich war gespannt zu erfahren, um welche Art von Geschäften es sich handelte, aber er sagte nichts mehr dazu. „Du brauchst ein BFO, ich habe deins vor der Tür gesehen. Das wird genügen.“ Genügen dachte ich mir, das war mit Abstand das technisch ausgereifteste Gerät auf dem ganzen Planeten. Sagte aber nichts, denn ich hatte schon längst beschlossen, mich auf das Abenteuer mit der Echse einzulassen. Nicht nur aus Langeweile. Die Vorräte würden nicht ewig reichen und ich war immer froh, wenn ich etwas zu tun hatte.. was wohl Hilde dazu sagen würde? Er hatte sich in unserem Lager eingeschlossen, schraubte an den Bootskates und ein paar kleineren Robotern. Ich folgte der Echse nach draußen, wo sie mir gleich aus ihrem BFO ein Paket übergab „Das muss heute noch raus“.
Ich machte mich auf den Weg. Quer durch die Altstadt, dann über die Felder bis zur Mutantensiedlung. Ich war ein wenig nervös. Schließlich kam ich in der Siedlung an. Nach wenigen Sekunden öffnete mir ein großer, schlanker Mann, auf den ersten Blick einem Menschen sehr ähnlich wäre da nicht die Größe und seine grünliche Hautfarbe. Etwas huschte blitzschnell hinter ihm vorbei, ich wunderte mich ob es ein Roboter oder ein kleiner Mutant sei, schon begrüßte er mich und fragte nach dem Paket. Ich wurde höflich hineingebeten. Setzte mich und holte das Päckchen aus dem Rucksack. Er schien mich gar nicht zu beachten, legte wortlos das Paket zur Seite ohne es zu öffnen und holte ein exakt gleiches aus einem der Küchenschränke. Ich nahm es an mich und wollte schon gehen, da drückte er mir ein paar Groschen in die Hand. „Herzlichen Dank“ Ich beschloss, mich später über das alles zu wundern und brauste in meinem BFO davon in Richtung der Bleibe des Echsenjoggers. Ob ich nun ständig identische Pakete hin und her kutschieren sollte, ich fragte mich, was da wohl drin sein mochte, traute mich aber nicht, das Transportgut zu öffnen. An der beschriebenen Adresse angekommen staunte ich nicht schlecht: Der Echsenmann wohnte in einer großen Villa am Stadtrand mit unzähligen anderen Echsen. Es war nicht leicht, sich zurechtzufinden. Im Gegensatz zur ordentlichen Bude des Mutanten herrschte hier das Chaos. Überall kleine Echsenkinder, die hin und her liefen, die Erwachsenen geschäftig durch die Gegend laufend, hier ein Ball, dort aufgeschlagene Zeitungen, dort wieder stehengelassene Teller. Ich lief über den Hof, ging die schmale Treppe hinauf und stand in einer Art Versammlungsraum, eine große Couch war rundherum aufgebaut und durch die riesigen Fenster schien die Sonne. Da stand auch schon mein Bekannter vom Morgen, zusammen mit anderen Echsen eine Zigarette rauchend. „Ah, unser neuer Freund“ stellte er mich vor und verlangte sogleich das Päckchen zu sehen. Ich übergab es ihm und wartete auf weitere Anweisungen oder Erklärungen. „Heute habe ich nichts mehr zu tun für dich“ sagte er. „Komm morgen wieder“ So fuhr ich nach Hause um Hilde von meinem neuen Job zu erzählen.
Er war alles andere als begeistert. „Mit den Echsen hast du dich eingelassen, ernsthaft?“ „Ja, ich weiß schon..“ „Nein, weißt du eben nicht. Ein suspektes Volk ist das, kein Mensch weiß, woher sie so plötzlich gekommen sind oder was sie vorhaben in diesem System…und du transportierst jetzt irgendwelchen Kram für die, du hast doch keine Ahnung in was du da hineingeraten bist..“ „Ach was. Es könnte doch alles ganz harmlos sein, immerhin ist doch bekannt, dass sie nicht gerne ihre Gebiete verlassen. Vielleicht brauchen sie nur hin und wieder ein paar Lebensmittel aus den Mutantenplantagen.“ „Wenn dem so wäre- es gibt Lieferdienste. Nein, ich finde, bevor du da weitermachst, finden wir erstmal heraus, was du eigentlich transportierst. Mach eins der Pakete auf“ „Das würde doch auffallen.“ „Ach wo. Ich gebe dir mein Spezialwerkzeug, damit kannst du alles wieder schön zusammenkleben.“ „Hm. Na gut, ich will es versuchen.“ „Nächstes Mal komme ich mit“
Darauf war ich eigentlich auch aus, ich hatte keine große Lust im Alleingang den Transportesel zu spielen und mit Hilde war jede Unternehmung einfach spaßiger. Auch wenn es hin und wieder im Chaos ausartete. Den restlichen Tag verbrachte ich mit Hilde in der Werkstatt, wie er sein kleines Zimmer nannte, und half ihm an den Miniaturrobotern zu schrauben.
Am nächsten Morgen standen wir früh auf, frühstückten und machten uns auf den Weg ins Echsengebiet. Ich war müde, hatte nicht viel geschlafen und wirre Träume gehabt. Allerdings wollte ich nicht Hilde bitten zu fahren, denn er fuhr, gelinde gesagt, wie eine gesenkte Sau. Schließlich kamen wir an der Villa an und ich stieg aus während Hilde brav auf mich zu warten versprach.
Ich klingelte am Tor und wurde hineingelassen nachdem die winzige Kameradrohne mich von allen Seiten begutachtet hatte. Die begrünte Einfahrt schien sich über Nacht in die Länge gezogen zu haben, jedenfalls entdeckte ich einige Windungen und Abzweigungen, die mir tags zuvor gar nicht aufgefallen waren. Endlich kam ich am Hauseingang an und musste abermals klingeln. Mein neuer Bekannter stand prompt vor mir, die Sonnenbrille tief im Gesicht und ich fragte mich, warum er sie auch drinnen trug, sagte aber nichts. Er wies mich an, ihm zu folgen und zu meiner Überraschung gingen wir in die Küche wo, genau wie bei dem Mutanten, das Paket in einem der Schränke gelagert wurde. Er bot mir etwas zu trinken ab, was ich höflich ablehnte, überreichte mir das Paket und einen Umschlag. „Das ist für dich“ Kurzangebunden wie es dem Echsenwesen entsprach, geleitete er mich wieder zur Tür und verabschiedete sich. Diesmal war das Päckchen etwas schwerer. Ich schleppte es zum BFO und stieg ein, nachdem ich meine Fracht auf dem Rücksitz neben Hilde verstaut hatte. „Wir fahren erstmal ein Stück“ Ich fühlte mich nicht wohl und wollte die Sache nur schnellstmöglich hinter mich bringen. Derweil war Hilde Feuer und Flamme, von der Neugier gepackt fing er bereits während der Fahrt an, das Paket vorsichtig zu untersuchen. Ich blieb in einer Seitenstraße stehen, es war immer noch sehr früh, so dass der Straßenverkehr gleich Null war. „Nun warte doch mal kurz.“ „Auf was denn?“ „Weiß ich auch nicht. Ich bin mir nur nicht sicher, ob wir das wirklich tun sollten.“ „Mach dir mal nicht in den Raumanzug. Warte, ach so. Gut.“ Ein kleiner Schnitt an der Seite, dann noch einer von oben und siehe da, auf einmal konnte er das Päckchen auseinanderfalten. Ich seufzte, machte den Umschlag auf – die Bezahlung war nicht schlecht, was mich etwas misstrauisch machte – ich wollte nun auch wissen, was sich darin befand und drehte mich um.
Es war ein Stein. Oder eine Pflanze? Jedenfalls sah das Ding aus wie ein versteinerter Kaktus, grau mit wenigen grünen Stellen. „Was ist das?“ „Keine Ahnung. Nehmen wir eine Probe?“ „Auf keinen Fall.“ „Zu spät, habs schon gemacht“ Im Nu sah das Paket wieder aus wie neu und Hilde, fröhlich auf dem Rücksitz grinsend, hielt einen dünnen Streifen der fremden Masse in der Hand.