Wunschdenken 9: Das geheimnisvolle Kästchen

Am nächsten Morgen machte ich mich auf, das Schiff zu erkunden. Meine Kabine war ganz am Ende eines schmalen Ganges, direkt über der Kommandozentrale von gestern. Es gab sogar einen Durchgang, eine Wendeltreppe neben meinem Bett, die scheinbar in der Decke endete, stieg man aber hinauf entdeckte man eine Lucke, eine abnehmbare Deckenplatte. Auch bis zum Maschinenraum hatte ich es nicht weit, den Gang hinunter ging es dann entweder nach links in den Speisesaal, nach rechts in die Unterkünfte (dieser Gang war gespenstisch, denn es standen dort ausschließlich Robos im Offlinemodus) oder nach unten zu Rosie. Tatsächlich traf ich außer dem Zwergenkapitän nicht ein einziges lebendiges Wesen. Nachdem ich also eine Weile lang herumgeschnüffelt hatte, begab ich mich in den Speisesaal um dort mit dem kleinen Mann im ausladenden Raum zu frühstücken. Ich wurde aus ihm nicht schlau. Ständig erinnerte ich mich daran, dass ich nicht wirklich freiwillig hier war, so faszinierend die Sache auch sein mochte. Was einherging mit einer grandiosen Wut auf den kleinen Knirps, die ich nicht mehr lange im Zaum würde halten können. Ich hörte ungeduldig zu wie er von seinem Schiff erzählte, wie viele Reisen es schon mitgemacht hatte, und welche Schwierigkeiten sie schon gemeistert hätten. Offenbar war er mehr Kapitän als er sein wollte, auch wenn er schließlich doch auf seine Musikerkarriere zu sprechen kam und am Ende eine alte Gitarre hervorholte und begann ganz fürchterlich zu spielen. Mich interessierte eigentlich nur, wie dieses Schiff es innerhalb einer solch feindseligen Umgebung schaffen konnte intakt zu bleiben. Ein Rätsel, das bis heute ungelöst bleibt. Aber dass es sich hier um ein ganz besonderes Exemplar handelte, war mir schon klar, seit ich es gesehen hatte und in meiner Wut begann ich Pläne zu schmieden, wie ich es mir unter den Nagel reißen könnte. Bis auf den Maschinenraumroboter und noch zwei oder drei Multifunktionsmaschinen war die Besatzung ausgeschaltet. Der Kleine, mittlerweile völlig vertieft in sein gräßliches Geplänkel, ließe sich vielleicht irgendwie dazu bringen, das Schiff zu verlassen sobald der Antrieb repariert war, dann müsste ich nur noch in den Kontrollraum und dort..ich wurde unterbrochen durch ein Klingeln in der Luft, direkt über uns musste sich also die Postdrohne befinden. Der Zwerg ließ die Klampfe fallen und eilte voraus ans Oberdeck. Die Drohne war gelandet und hatte ein Paket dagelassen. Darin: eine Art Generator mit unheimlich vielen Schaltern. Dieses Ding galt es also nun einzubauen und ich hatte keine Ahnung wie oder wohin. Ich folgte dem Zwerg bis zum Maschinenraum. Dort wartete schon Rosie und blinkte uns fröhlich zu. „Da ist es ja, endlich“ Ganz aufgeregt drehte sich der Roboter und fuhr ein paar Mal im Kreis. Ich musste mich erst einmal orientieren. In der Früh hatte ich ein paar Magazine zum Thema Frachter aufgerufen und war nun immerhin etwas vorbereitet. Es sollte trotzdem bis in die Nacht dauern, bis wir das Ding an seinen Platz angeschlossen und verkabelt hatten – zum Glück kannte Rosie den Maschinenraum wie ihre Westentasche und Dank der professionellen Tipps des Roboters kamen wir ganz gut voran, wenn es auch Schwierigkeiten mit dem Flukskompensator gab, ein uraltes Teil übrigens, das aber immer noch standartmäßig in den großen Frachtern verbaut wurde.
Schließlich waren wir fertig und es ging in den Kontrollraum wo der große Funktionstest durchgeführt wurde. Der Zwerg hüpfte aufgeregt auf und ab während Rosie sich an der Anlage zu schaffen machte. Noch eine Schraube dort, ein Dreher hier und plötzlich hörte ich ein Surren, immer lauter werdend bis das ganze Schiff vibrierte. Es drehte sich, glich die Senkung aus und stand kerzengerade da.
„Es hat geklappt!“ schrie der Zwerg, völlig außer sich. Sofort stürzte er sich auf das Steuerbord und drückte wild irgendwelche Knöpfe. Das Schiff ruckelte und fuhr die Schilde hoch, hob langsam ab. Ich freute mich, dass es funktioniert hatte und schlug direkt vor, dass sie mich doch an der großen Tankstelle absetzen sollten, die müsste aus der Höhe gut auszumachen sein. Der Kleine willigte ein, er müsse sowieso noch tanken. Hocherfreut, dass ich so gut darin war, mit großen Schiffen umzugehen, vergaß ich fast völlig meine Wut auf ihn und rannte hinunter um meinen Rucksack zu packen. Den Weg zurück würde ich schon irgendwie finden, ich müsste mir ja nur an der Tanke kurz den Stadtplan borgen. Ich kletterte die Stufen hinauf und stieg durch die Lucke in den Kontrollraum. Rosie war inzwischen wieder im Maschinenraum verschwunden und der Kapitän hockte in seinem Chefsessel, zufrieden und glückselig lächelnd. Wir flogen bis zu den vielen Lichtern, die die Plasmatankstelle anzeigten und landeten auf einem der großen Parkplätze. Der Zwerg bedankte sich, ich hüpfte hinaus, wünschte einen schönen Tag und lief hinüber bis zum Shop. Aus dem Fenster sah ich noch, wie das Schiff abhob, grinste und fühlte in meiner Tasche das kleine Kästchen, das ich ihm in meiner Wut tags zuvor gestohlen hatte. Ich verstaute es im Rucksack in der Absicht, es mir später genauer anzusehen und lief zur Kasse um nach einem Stadtplan zu fragen.