Wunschdenken 2: Kräutergarten


Die Sonne ging bereits auf und ein farbiger Nebel legte sich langsam über die Stadt. Zunächst fuhren wir noch plaudernd nebeneinander bis Hilde pfeifend beschleunigte und an mir vorbeischoss. Ich hatte einige Sekunden lang Probleme mit dem Antrieb und verlor ihn kurz aus den Augen, erkannte dann aber die Rauchwolke hinter der engen Kurve am Zwillingsabhang. Lustig, wie er immer durch den Helm paffte, er hatte sich speziell hierfür eine Art Schlauch gebastelt, der dünn wie ein Strohhalm das Rauchen in verschiedensten Sphären ermöglichte. Düste also hinterher und fand ihn an der Haltestelle hockend wo er sich aus einem Automaten Kaffeeersatz und eine Schachtel Polo gezogen hatte, die gab es mittlerweile im Doppelpack auf einen Knopfdruck, genauso wie den berühmten Keks mit Kakao.

„Der Magnetstreifen hat sich gelöst“ Er fluchte leise in seinen Schuh hinein, den er ausgezogen hatte und sich nun vor die Nase hielt. Neben ihm lag das Etui mit dem Reisewerkzeug, die Impulsträger, magnetischen Zangen und Komponenten der Röhrensteckverbindung lagen um ihn herum am Straßenrand. Ich erkannte sofort – das Set war nicht vollständig, ihm fehlte ausgerechnet der Glätter mit dem man zum Beispiel Magnetstreifen an den Skates, aber auch an ordinären Küchengeräten wieder flott machen konnte. Die Dinger lösten sich natürlich regelmäßig bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit oder wenn man Geräte für pseudowissenschaftliche Zwecke missbrauchte, so dass jeder von uns immer Dutzende davon in den Taschen hatte. Und dann den Glätter vergessen. Ich ging mit den Boots in den Standbymodus, setze mich neben ihn und holte mein Werkzeug aus der Seitentasche des Mantels.

Die Streifen wieder ins Innere des Schuhwerks gebügelt, saßen wir noch eine Weile schweigend da und sahen der Morgenluft zu. Dann sprang er auf, streckte sich und warf die Kippe auf den Boden wo sie rötlich zischend verglühte. „Wir müssen los, wenn es nicht allzu spät werden soll“ murmelte er, die Augen geschlossen, das Gesicht in die aufgehende Sonne haltend.

Ich beschloss wieder einmal die interplanetare Straßenbahn zu nehmen, kletterte schnell hinten auf als der Bus vorbeischwebte und freute mich über den Fahrtwind und den Anblick des Forschungszentrums, dessen bunte Gebäude sich über eine ganze Straßenlänge erstreckten. Kurz vor der Haltestelle abspringen, das ist der Trick um nicht erwischt zu werden, direkt vor dem Kiosk in dem zwei Halbmutierte, Vater und Sohn, den schlechtesten Kaffee des Universums tranken. Sie schienen mich gern zu haben, quasselten immer wieder freundlich und unverständlich in meine Richtung und boten ihr furchtbares Gebräu an. Die beiden hatten viel zu bestaunen direkt am Bahnhofseingang und wenn man ihre Sprache gelernt hatte, konnten sie manchmal kurioseste Beobachtungen preisgeben. Ich winkte dem älteren zu, er saß wie immer halbschlafend im Fenster, und rannte vorbei denn in 15 Sekunden sollte die Bahn abfahren. Damals kamen die Röhrenzüge und Straßenbahnen niemals zu spät, damals, kurz vor dem Zusammenbruch funktionierte alles geradezu reibungslos – bis die Maschine das Chaos in den Röhren auslöste, falsche Verkehrsmeldungen, Unfälle, die das Blut in den Adern gefrieren ließen – auf einen Schlag wurde die menschliche Bevölkerung auf über die Hälfte reduziert. Und was dann folgte..ach ja.

Ich stieg ein und wedelte mit meiner präparierten Chipkarte, eine Erfindung meines alten Freundes Pepe, der in seinem Labor lebte und starb  – zu 80% ließen sich die Automaten damit täuschen. Auch diesmal blinkte das grüne Licht, ich wurde als offizieller Fahrgast anerkannt. Es war eine der älteren Straßenbahnen mit ganz besonderem Charme, zum Teil aus Überbleibseln der alten roten Bahnen im Ostteil des Planetenverbundes mit ledernen Sitzgarnituren und Aschenbechern in den Armlehnen, zum Teil aus hochmoderner Technik, eingebaut in die rostigen Fensterrahmen.

Ich setzte mich und sah im Vorbeifahren, es ging rasend schnell auch wenn die Bahn zum Teil aussah wie aus einer Zeitkapsel, das Gewächshaus meiner Schwester direkt an der Stadtgrenze: kurz blinkten die Gartenlampen auf und ich erkannte Brombeeren und Kürbisse unter einem gläsernen Dach. Zuletzt hatte sie mir erzählt, sie wollte sich nun an Rosen probieren während das Kind im viel zu großen grünen Regenmantel sich mit Beeren vollstopfte und jedesmal glücklich gluckste wenn es eine gepflückt hatte. Überhaupt war der Planet einer unserer liebsten Ausflugsziele, denn hier waren die Bewohner noch so zufrieden und arglos, von den Unruhen waren ja zunächst nur die Planetenstaaten 3-5 betroffen. Während also im Osten das Chaos um sich griff, lebte man im Südwesten bis zur großen Implosion der Hauptkessel an den Abfahrten x, y und z in absoluter Ahnungslosigkeit. Ein Fehler, das sagte ich schon immer, war es mit Sicherheit gewesen den intergalaktischen Funk nur auf die Wochenenden zu reduzieren – wenn kaum ein Mensch oder Mutant zu Hause war und die Durchsagen hören konnte. Wir wurden zwar auf dem Laufenden gehalten von Pepe, der den lieben langen Tag an Reagenzgläschen schnüffelte und den Funk verschiedenster Staaten illegal abhörte  (seit der Verordnung vom Juni 3012 war es nur ausgewählten Funktionären der DaimNA erlaubt sich in den gesamten Funkverkehr einzuwählen) waren jedoch so sehr mit uns selbst und unseren Unternehmungen beschäftigt, dass auch wir das wahre Ausmaß des Unwetters erst kommen sahen kurz nachdem wir unser Lager bei .2,5 eingerichtet hatten.

Ein weiterer Fehler, aber der kam uns nun auch eine ganze Weile lang zugute, bestand wohl darin, dass nur noch die intergalaktischen Aufsichtsbehörden vernetzt waren, die Verwaltungen hingegen arbeiteten autonom und tauschten ihre Daten nicht aus, teilweise noch nicht einmal innerhalb der jeweiligen Planetensysteme. Kurz vor der Sperrung der großen intergalaktischen Tunnel hatten wir festgestellt, dass Geschwindigkeitsüberschreitungen, ein Vergehen, das dafür sorgte, dass das BFO sofort durch das System gedrosselt wurde, meistens nur auf den jeweiligen Planeten gespeichert wurden. So entstand eine illegale Subkultur, der wir uns eine Zeit lang anschlossen, die halsbrecherische Rennen in immer anderen Winkeln des Universums veranstaltete.

Der Zug wechselte die Zone, schoss durch einen der schillernden Tunnel, und im Nu wurde es dunkel und wir befanden uns auf der Rückseite des Planeten. Er drehte sich so langsam, dass es jahrhundertelang auf dieser Seite dunkel sein würde und so fand man hier, in voller Beleuchtung, riesige Einkaufsmeilen, unterbrochen von Ecken in absoluter Finsternis. Die giftigen Seen, die die Landschaft durchzogen schimmerten in einem bedrohlichen Grün und sonderten Luftblasen aus, auf die man aufpassen musste  – die Verwaltung schickte regelmäßig Funksprüche durch die niemand befolgte, man solle doch in der dunklen Zone die Maske 3000 tragen, ein umfassender Strahlen- und Luftfilter sowie ein Elektroschockgerät. Die Mischung aus künstlichem Licht, sie hatten sich alle Mühe gegeben, das Ganze so fröhlich wie möglich aussehen zu lassen, ein Umstand der auf mich stets lächerlich wirkte, und völliger Dunkelheit sorgte nicht nur für eine gefährliche Flora und Fauna sondern auch für ein einzigartiges Atemluftgemisch. Immer wieder musste frische Luft aus der hellen Zone rüber gepumpt werden, die Aufgabe der riesigen Windräder an den Stadtgrenzen.

Ich stieg aus, kramte noch einmal in meinen Taschen und bog direkt in die erste dunkle Gasse ein. Unser Ausflug dauerte wieder einmal ein paar Tage, diesmal allerdings war die Lage ernst, wir waren sehr weit draußen und hatten kein Plasma mehr für das Fahrzeug und kaum noch Wasser. Zu allem Übel war ich den letzten Tagen recht nervös, hatte das Gefühl, verfolgt zu werden. Ja, der Stress forderte seinen Tribut und ich hatte schon mehrere Male daran gedacht, mich zur Ruhe zu setzen, ein kleines Häuschen am See bei Alpha 7, vielleicht ein Hund, vielleicht ein Kräutergarten.